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Beitrag vom 27.04.2023
Der verlorene Zug. Kinostart 27.April 2023
AVIVA-Redaktion
Aus der Perspektive dreier Frauen, der jüdischen Niederländerin Simone, der deutschen Mitläuferin Winnie und der russischen Scharfschützin Vera, erzählt Regisseurin Saskia Diesing eine auf wahren Begebenheiten basierende Geschichte.
Der Blick aus dem Zug in grüne friedliche Felder und Wiesen eröffnet diesen ausgezeichneten Spielfilm. 1945: Kurz vor Kriegsende in Deutschland. Die russische Rote Armee ist auf dem Vormarsch und wenige Tage vor der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen am 15. April durch die britische Armee, organisierten die Nazis in aller Eile einen Transport ausgewählter jüdischer Häftlinge mit dem Ziel, sie nach Theresienstadt zu verlegen.
Die in Bergen-Belsen inhaftierten Jüdinnen und Juden wurden von den Nazis als "Austauschjuden" bezeichnet, da sie gegen im Ausland gefangen gehaltene deutsche Staatsbürger*innen oder gegen harte Währungen eingetauscht werden konnten. Ein tatsächlicher Austausch von Gefangenen fand nur wenige Male statt.
Bei der Deportation dieser Häftlinge wurden zwischen dem 6. und 11. April drei Züge mit insgesamt rund 6.800 Menschen beladen. Der erste Transport wurde am 13. April von amerikanischen Truppen in der Nähe von Magdeburg befreit. Ein zweiter Zug mit überwiegend ungarischen Jüdinnen und Juden traf am 26. April 1945 in Theresienstadt ein. Es ist nicht bekannt, was aus den Deportierten geworden ist.
Nachdem sie mehr als zwei Wochen lang durch die noch nicht von den Alliierten besetzten Teile Deutschlands gefahren waren, blieb der letzte dieser Züge in Tröbitz, einem kleinen Dorf in Brandenburg, mit über zweitausend jüdischen KZ-Gefangenen auf offener Strecke, mitten auf einer Weide liegen. Der Zugführer koppelte die Lok ab und flüchtete wie die anderen deutschen Soldaten vor der Roten Armee, die bereits das nahegelegene deutsche Dorf Tröbitz besetzt hat. Am 23. April stießen die vorrückenden sowjetischen Truppen auf den Deportationszug. Sie befreiten die Gefangenen, darunter 1.500 Niederländer*innen, die von den deutschen Besatzern als Juden eingestuft worden waren.
Zunächst vertrieben die russischen Besatzungstruppen die deutschen Einwohner*innen– meist Frauen und Kinder –, die nicht aus dem Dorf geflohen waren aus ihren Häusern, um Platz für die Menschen aus dem Zug zu schaffen. Doch nachdem sie eine Nacht im nahegelegenen Wald verbracht hatten, kehrten viele von ihnen in ihr Dorf zurück. Die Rote Armee befahl ihnen, die Überlebenden zu beherbergen und die Kranken zu versorgen. Das Feldlazarett wurde von sowjetischen Sanitäter*innen und jüdischen Ärzt*innen aus dem Zug geleitet. Frauen und Mädchen aus dem Dorf wurden als Krankenschwestern rekrutiert.
Die ausgehungerten jüdischen Menschen aus dem Zug sind nun in einem Ort in Deutschland gestrandet und auf Hilfe der Nazi-Anhänger*innen angewiesen. In einem Ort, wo an jedem Haus die Fahne mit dem Hakenkreuz weht und drinnen Hitlerbilder an der Wand hängen. Und während aus den Radios noch den Sieg des Führers und der Wehrmacht verkünden, bricht Typhus aus und Tröbitz wird von der russischen Roten Armee unter Quarantäne gestellt, um eine Typhusepidemie zu verhindern. Es dauerte acht Wochen, bis die Epidemie unter Kontrolle war.
In der Zwischenzeit schickte Moskau eine Delegation in das Dorf, um die ehemaligen jüdischen Häftlinge für eine mögliche Auswanderung in die Sowjetunion zu "begeistern".
In dieser Situation entsteht eine Freundschaft zwischen der jüdischen Niederländerin Simone (Hanna van Vliet), der Deutschen Mitläuferin Winnie (Anna Bachmann) und der russischen Scharfschützin Vera (Eugénie Anselin).
Diese drei Frauen stehen stellvertretend für die Gesichter dieses Krieges. Die weibliche Perspektive.
Trotz der Quarantänemaßnahmen gelang es zwei ehemaligen jüdischen Widerstandskämpfer*innen, Mirjam und Menachem Pinkhof, am 13. Mai 1945, Tröbitz mit dem Fahrrad zu verlassen, die Elbe zu überqueren und am 18. Mai den Amerikaner*innen ein Memorandum zu übergeben, das für das Außenministerium in Den Haag bestimmt war.
Es enthielt einen Bericht über diesen dritten Zug und die Umstände der Geretteten. Die amerikanischen Verbindungsoffiziere setzten sich daraufhin mit den sowjetischen Armeelagern in Verbindung und reisten nach Tröbitz, um den Inhalt des Memorandums zu überprüfen und die Repatriierung einzuleiten. Am 16. Juni 1945, noch vor Aufhebung der Quarantäne, begannen die Amerikaner mit der Rückführung der Überlebenden. Während der Zugfahrt und in den folgenden Wochen starben über 550 Menschen. Darunter auch einige Einwohner*innen von Tröbitz und mehrere russische Ärzte, die an Typhus erkrankt waren.
Regisseurin: Saskia Diesing Zu ihrer Motivation, diesen Film zu machen: "Mein Onkel Eddy Marcus (1944-2011) war damals kaum ein Jahr alt, als er den verlorenen Transport zusammen mit seinen Eltern und zwei Brüdern überlebte. Erst bei seiner Beerdigung erfuhr ich erstmals diese Geschichte. Ich fühle eine große Verantwortung gegenüber den Vorkommnissen und mir ist bewusst, dass ein Film niemals der Verzweiflung, er Krankheit und dem Tod derjenigen gerecht werden kann, die damals dazu gezwungen waren, das mitzuerleben. Aus diesem Grund ist es wichtig zu betonen, dass der Film zwar von den Ereignissen rund um den verlorenen Zug inspiriert ist, die Geschichte und die Charaktere aber völlig fiktiv sind. Der Schwerpunkt liegt weniger auf der Gewalt, dem Elend und den Gräueltaten als vielmehr auf der Entschlossenheit, der Hingabe und dem Mitgefühl der drei Frauen."
AVIVA-Tipp: Regisseurin Saskia Diesing bringt die nötige Sensibilität mit für die Verfilmung dieser besonderen Geschichte, die so oder ähnlich passiert ist. "Der verlorene Zug" - das sind starke, symbolhafte Bilder und die Schicksale von drei außergewöhnlichen Frauen, die trotz aller Unterschiedlichkeiten einen Weg zu Menschlichkeit und Mitgefühl und schließlich zu einer Verständigung finden, in der Hass keinen Platz mehr hat.
Der verlorene Zug
Originaltitel: Lost Transport
NL, LUX, DE 2022
Regie und Drehbuch: Saskia Diesing
Spielfilm
101 Min.
Sprachen: Niederländisch, Deutsch, Russisch OmdU
Darsteller*innen Hanna van Vliet, Eugénie Anselin, Anna Bachmann
Bram Suijker, Konstantin Frolov
Kamera Aage Hollander
Schnitt Axel Skovdal Roelofs
Ton Marco Vermaas
Kostüm Genoveva Kylburg
Musik Paul Eisenach
Jonas Hofer
Szenenbild Diana van de Vossenberg
Produzent*innen Hanneke Niens, Hans de Wolf, Christine Kiauk, Herbert Schwering, Bady Minck, Alexander Dumreicher-Ivanceanu, Marina Blok
Produktion Key Film
Co-Produktion COIN FILM
Amour Fou
Verleih: W-FILM
Kinostart: 27. April 2023
Mehr zum Film und der Trailer unter: wfilm.de/der-verlorene-zug
Eine Produktion von KeyFilm in Koproduktion mit COIN FILM und Amour Fou, gefördert durch Film- und Medienstiftung NRW, nordmedia – Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen und DFFF.
W-FILM Distribution gefördert durch Film- und Medienstiftung NRW und nordmedia – Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen.
Zur Regisseurin: Saskia Diesing, geboren 1972, zog im Alter von acht Jahren aus Deutschland in die Niederlande. Nach ihrem Abschluss als Filmemacherin an der Hochschule der Künste Utrecht (HKU) im Jahr 1996 arbeitete sie sieben Jahre lang beim niederländischen Fernsehsender VPRO als Regisseurin und Chefredakteurin für mehrere Fernsehprogramme. Im Jahr 2003 führte sie Regie bei "DU", einem zweisprachigen TV-Roadmovie, der für das Internationale Filmfestival Rotterdam, das Input Festival und den Prix Europa ausgewählt wurde. Danach führte sie Regie und schrieb die Drehbücher mehrerer Kurzfilme und Fernsehfilme. Ihr erster Kino-Spielfilm "Nena" kam 2014 in die Kinos und gewann das Goldene Kalb in der Kategorie Beste Schauspielerin und Beste Regie auf dem Niederländischen Filmfestival 2015. Der Film wurde für mehrere internationale Filmfestivals und das Programm Generation 14+ auf der Berlinale 2015 ausgewählt, wo der Film einen Special Mention Jury Award gewann. Ihr zweiter Spielfilm "Craving" feierte 2018 auf dem IFFR Premiere und wurde für das Internationale Filmfestival Shanghai ausgewählt.
Nach "Der verlorene Zug" arbeitet sie aktuell an einem Spielfilm "The Hearing" über die #MeToo-Bewegung. Saskia Diesing ist außerdem seit 2004 Dozentin für Drehbuch und Regie an der HKU Media, School of the Arts Utrecht, sowie Drehbuch- und Regie-Coach für Filmemacher*innen
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Quelle: W-FILM